Mittlerweile sitze ich seit
zwanzig Jahren im Rollstuhl.
In dieser Zeit habe ich so
manch schöne, aber auch
eigenartige Erlebnisse mit
zufälligen Begegnungen mit
Menschen gehabt. Ich selbst
tue mir bei einer Beurteilung
der Begegnungen zumeist
ziemlich schwer und benötige
oft längere Nachdenkzeit, um
eine Entscheidung zu treffen,
ob diese gut oder schlecht
bzw. positiv oder negativ
waren. Daher überlasse ich
eine Bewertung der
anschließenden Anekdoten auch
Ihnen.
Klagenfurter Innenstadt:
Auf dem Domplatz warte ich auf
einen Bekannten. Es ist ein
sonniger Tag, der zum
Verweilen auf dem Platz
einlädt. Ich sitze auf der
nördlichen Seite des Platzes,
meinen Rollstuhl an eine Mauer
gelehnt. Eine Frau mittleren
Alters, die offensichtlich
eine Sitzmöglichkeit sucht,
nähert sich mir. Es beginnt
eine einseitige Konversation:
„Ihnen geht´s gut, Sie haben
Ihren Sitzplatz immer dabei!“
Danach geht sie weiter und
setzt ihre an diesem Tag
vergebliche Suche nach einer
Sitzmöglichkeit fort.
Landeskrankenhaus Klagenfurt:
Nach meiner Physiotherapie
begebe ich mich wieder auf den
Heimweg. Ich bin gerade dabei,
meinen Rollstuhl ins Auto zu
zerren. Eine junge Frau kommt
vorbei, bleibt stehen, kramt
in ihrer Einkaufstasche herum
und überreicht mir lächelnd
einen Pfirsich. Es bleibt bei
dieser nonverbalen
Konversation.
Ländliches Volksfest,
Bleiburg:
Ein festlicher Umzug mit
geschmückten Autos,
Pferdegespannen,
Blasmusikkapellen und allem
was sonst noch dazugehört. Ich
habe meinen Rollstuhl am
Gehsteig geparkt. Bonbons,
Holz-Schneidbretter,
Freikarten fürs Autodrom und
Karussell etc. werden verteilt
und in die Zuschauermenge
geworfen. Ein fremder älterer
Herr legt mir ein Bonbon auf
den Schoß, andere tun es ihm
gleich. Letztlich sitze ich
mit einigen Bonbons und einer
Semmel da, eine Freikarte fürs
Ringelspiel oder fürs Autodrom
ist leider nicht dabei.
Ebenda einige Jahre später:
Ich fahre mit meinem Rollstuhl
über den Rummelplatz, der sich
auf einer nicht befestigten
Wiese befindet. Als ich gerade
kurz beim Autodrom verweilen
und dem dortigen Treiben
zusehen will, nähert sich ein
mir flüchtig bekannter, junger
Mann, packt meinen Rollstuhl
von hinten und fährt mit mir
im Höllentempo einmal rund um
das Autodrom. Ich habe große
Mühe, mich im Rollstuhl zu
halten und habe keine Lust auf
Konversation. Die Worte des
jungen Mannes in meinem Rücken
verstehe ich nicht. Zuerst
weil ich mich in einer Art
Schockzustand befinde, später
weil er zusehends außer Atem
gerät und undeutlicher
spricht.
Musikfestival, Bleiburg:
Es regnet in Strömen. Die
Wiese ist mit Morast und
Wasser überflutet. Bretter
sind am Boden aufgelegt, um
die Festivalsbesucherinnen und
–besucher einigermaßen heil
ins Veranstaltungszelt
gelangen zu lassen. Ich mühe
mich mit meinem Rollstuhl über
die wackeligen Bretter, immer
darauf bedacht, nicht im Dreck
zu landen. Ein
Festivalmitarbeiter eilt mir
zuvorkommend zu Hilfe. Das
Spiel der vorherigen
Geschichte wiederholt sich.
Allerdings geht es diesmal
nicht im Höllentempo rund ums
Autodrom, sondern auf den auf
der schlammigen Wiese
aufgelegten Brettern bis zur
ersten Stufe! Mir ist es bis
heute ein Rätsel, wie ich es
geschafft habe, nicht im Dreck
zu landen.
Hauptplatz, Völkermarkt:
Samstagnacht, Planquadrat. Ich
werde mit meinem Auto von
einem mir völlig unbekannten
Gendarmen aufgehalten. Er sagt
lediglich, „Ach Sie sind´s“
und lässt mich ohne die
Wagenpapiere zu kontrollieren
weiterfahren. Als
Rollstuhlfahrer genießt man
offensichtlich einen
Bekanntheitsgrad, der schon
fast an den eines bunten
Hundes grenzt.
Ernst Kočnik
12. Juni 2005